Im Horizont der Glaubensweite
Im Leitvortrag 2025 haben wir gemeinsam das Thema „Menschsein zwischen Selbststand und Hingabe“ bedacht. Die Erwägungen wollen Notenschlüssel und Vorzeichen dieses Programmjahres sein und sich als Leitfaden durch unsere Angebote ziehen. Unsere Angebote finden Sie im aktuellen Frühjahr-Sommerprogramm_2025.
Menschsein zwischen Selbststand und Hingabe
Kann es sein, dass so mancher Missstand und manches Ärgernis daher rührt, dass es Menschen an Hingabe fehlt? Weil wichtige Dinge effizient, aber nur mittelmäßig erledigt werden? Weil getan wird, was verlangt wird, aber das Herz nicht dafür schlägt? Weil selbst im Ehrenamt mitunter mehr „Benefit“ als „benevolens“ zählt? Im Dekanat Ehingen-Ulm, wo mit Hingabe philosophiert und diskutiert wird, bildet das Nachdenken über Hingabe – dieses wohlklingende, aber auch anspruchsvolle Wort – einen Ankerpunkt im Dekanatsprogramm. Im Leitvortrag unter dem Titel „Menschsein zwischen Selbststand und Hingabe“ sprach Dekanatsreferent Dr. Wolfgang Steffel darüber, wie sich unter heutigen Bedingungen das Gläubigwerden des Menschen vollziehen kann.
„Hingabe ist ein Grundgestus des Menschen“, sagt Steffel. Aber nur derjenige könne sich ganz hingeben, der sich gewissermaßen „hat“, sich selbst angenommen hat; „die Selbsthingabe und die Selbstannahme sind miteinander verknüpft“. Der Selbststand, eine „gewisse Weise des Sich-habens“, sei Grundlage einer Hingabe.
Ehrenamt und Ehrenkäs
„Können wir geben, ohne zu zählen?“ Vielfach werde versucht, Menschen ein Ehrenamt durch einen zu erwartenden Benefit schmackhaft zu machen; manche Menschen knüpften ihr Engagement an die Erwartung, gelobt zu werden. Diese Herangehensweise berge freilich die Gefahr der Enttäuschung, wenn etwa der Pfarrer nicht ausreichend lobe; Steffel nennt dies „eine Hingabe, die durch einen gewissen Ehrenkäs infiziert ist“: jemand werde stinkig, weil nicht genug (Lob) zurückkommt.
„Wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder“, erinnert Steffel an einen Ausspruch Jesu im Lukasevangelium (Lk 6,33). Aus der Perspektive des christlichen Glaubens sei dies keine Gestalt von Hingabe, die von Furcht frei ist, so Steffel unter Anspielung auf den Philosophen Dieter Henrich (1927-2022) weiter; dieser stellt in seinem letzten Werk unter dem Titel „Furcht ist nicht in der Liebe“ philosophische Betrachtungen zu einem Satz des Evangelisten Johannes an.
Quelle, die sich verschenkt und überfließt
Hingabe aus dem Glauben heraus sei un-bedingte Hingabe, also ohne Furcht, dass diese ins Leere geht oder nicht erwidert wird. Dieses Risiko gehe ein, wer etwa einen ersten Schritt der Versöhnung wagt. Solche Hingabe sei eine Form der Lebensgestaltung, die eine Arbeit an sich selber, einen Weg der Selbstreifung voraussetzt, sagt Steffel. Zu den verschiedenen Metaphern, ohne die ein Nachdenken über Hingabe kaum auskommt, zählt er Martin Heideggers Begriff „Welt-Spiel-Quell“ – „die Quelle, die ständig fließt, aus sich heraus fließt und sich verschenkt und überfließt“, wie sie etwa der Quelltopf in Blaubeuren symbolisiert; dieses Urbild diene auch großen Mystikerinnen und Mystikern zur Beschreibung der Hingabe. Zu diesem Spiel gehöre „das Lassen ins Halten, das Halten ins Lassen“, also das Wechselspiel von Selbststand und Hingabe.
Als das Überfließende, ja Schäumende bei der Hingabe im religiösen Bereich beschreibt Steffel – bezogen auf das Zwiegespräch mit Gott – den Lobpreis; dieser sei gleichsam die „Schaumkrone des Betens“, weil er „komplett dingfrei auskommt“, weil „nur“ die Wirklichkeit Gottes gepriesen wird – anders als beim Bitten (um etwas – und deshalb „dinghaft“), beim Danken (für etwas), beim Klagen (über etwas).
Deutungen der Hingabe
Drei Momente oder Deutungen der Hingabe lassen sich Steffel zufolge etymologisch in dem Wort Religion finden: das Moment der Achtsamkeit („religere“ – etwas besonders achten, wahrnehmen); das Moment der Formen, ohne die der Mensch nicht leben kann, also seine Lebensweise, Rituale und Kultur, die er sich aneignet („religari“ – sich binden); das Moment der Wiedererwählung einer zwischenzeitlich schal oder „tragisch“ gewordenen Form oder Beziehung („re-eligere“ – wieder erwählen), wie es beispielsweise in der Tauferneuerung geschehe.
Es gelte, Hingabe nicht nur heroisch zu denken, sondern auch indem gewöhnliche Dinge mit außergewöhnlicher Hingabe getan werden, wie Meister Eckhart erinnert: die Hingabe adelt auch das schnödeste Geschäft und gibt ihm höheren Wert. Hingabe zeige sich auch darin, „wie ich Kleinigkeiten gestalte“; Vorbild könne etwa Ignatius von Loyola sein, über den Pater Luiz Gonçalves da Camara schreibt: „Die Liebe des Ignatius zeigt sich in drei Dingen: in der Freundlichkeit, mit denen er allen begegnete, in der großen Sorge für die Gesundheit aller, für alle Einzelheiten und auch Kleinigkeiten, in seiner Sanftmut, die Öl und eben nicht Essig war.“
Damit Hingabe wachsen und gedeihen kann, sei eine „Kultur der Hingabe“ nötig, erklärt Steffel. Eine Gemeinschaft, in der jeder jeden beäugt und jeder Angst hat, dass er zu kurz kommt, könne Hingabe nicht leben. Hingabe bedarf der Einübung, der Stille und Kontemplation.
Bericht: Pavel Jerabek/drs
https://www.drs.de/ansicht/artikel/menschsein-zwischen-selbststand-und-hingabe.html
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